Tuesday, January 19, 2010

Das Leiden anderer betrachten II

Susan Sontags Buch Das Leiden andere betrachtee handelt eigentlich von Kriegsfotografie. Aber vieles, was sie sagt, kann ganz allgemein auf Bilder von Katastrophen angewandt werden.

Ein paar Fragen sind noch offen. Was treibt Fotografen an, in von Katastrophen heimgesuchte Gebiete zu fahren? Meiner Meinung nach sind die Meisten von echtem humanitären Mitgefühl motiviert. Die produzierten Bilder haben aber einen Nebeneffekt: Sie produzieren Aufmerksamkeit. In einer Branche, deren Struktur besonders starke aufmerksamkeitsökonomische Züge trägt, ein entscheidender Vorteil.

„Die Jagd nach möglichst dramatischen Bildern […] treibt das fotografische Gewerbe an, und gehört zur Normalität in einer Kultur, in der der Schock selbst zu einem maßgeblichen Konsumanreiz und einer bedeutenden ökonomischen Ressource geworden ist. „Schönheit ist erschütternd oder sie ist nichts.“ verkündete Andre Breton, und nannte sein ästhetisches Ideal „surrealistisch“. Aber in einer Kultur, die durch die zunehmende Verbreitung kommerzieller Wertvorstellungen von Grund auf umgemodelt wurde, zeugt die Forderung nach grellen, schrillen, verblüffenden Bildern eher von solidem Realismus und gesundem Geschäftsgeist. Wie sonst soll man Aufmerksamkeit auf das eigene Produkt, die eigene Kunst lenken?“ (30)

Was lösen Fotos vom Leiden anderer im Betrachter aus? Fotos vom Leiden können zwei Auswirkungen haben: sie können erstens zur Resignation verleiten, aber auch dazu, sich mehr zu kümmern. Es gibt die Problematik der routinemäßigen Auslösung von Gefühlsreaktionen.

„Verhäßlichen, etwas möglichst unvorteilhaft darstellen, ist eine moderne, didaktische Funktion: sie will zur aktiven Auseinandersetzung auffordern.“ (95)

„Wenn man den Eindruck bekommt, dass es nichts gibt was wir tun könnten […] und auch nichts, was sie tun könnten […], fängt man an, sich zu langweilen, wird zynisch und apathisch.“ (118)

Diese Gefahr schwingt mit, und ich habe sie, wenn auch in geringerem Ausmaß, am eigenen Leib in der West Bank erlebt. Sontag wehrt sich aber gegen diese Sichtweise der Dinge, die sie als konservative Interpretation bezeichnet. Deren zynische Variante, Wirklichkeit überhaupt nur mehr als konstruiert zu bezeichnen, kritisiert sie scharf. Diese "französische Spezialität übersieht, dass sie unglaublich provinziell ist. Aus den Sehgewohnheiten der französischen Mittelschicht läasst sich nämlcih nicht auf die unterprivilegierten Menschen dieser Welt schließen. Diese Menschen, die Fernsehen nicht nur als Unterhaltung sehen, die auch von Leid betroffen sind, können nicht so eine Gleichgültigkeit an den Tag legen:

"Den Luxus einer Konsumentenhaltung gegenüber der Wirklichkeit können sie sich nicht leisten." (128)

Damit endet dieser kleine Exkurs.

Verwiesen sei noch auf die fotografische Zusammenfassung des Schicksals Haitis in der
NY Times

Ein weiterer Tipp, den ich euch besonders ans Herz legen möchte, ist eine Projektarbeit von James Pomerantz. Er hat eine eigene Seite ins Leben gerufen, die sich mit der Geschichte und Theorie der Konfliktsfotografie beschäftigt. Unbedingt anschauen: PJRESOURCES Dort gibt es auch den Originaltext, auf Englisch, und viele andere Ressource. Very well done James.

PS: Die Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf: Susan Sontag: Das Leiden anderer betrachten. Fischer tbv 2005

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