Sunday, February 5, 2012


Bild zum Sonntag

Europapart-web

Ein junger Mann schleppt Abfall von der Müllhalde ins Romaghetto von Sechovce. Das Bild ist Teil der Serie EuropApart, die am Freitag online ging. 38 Mittelformatbilder.

Der Text zur Serie liest sich wie folgt:

In Europa werden 20 Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs wieder Mauern hochgezogen. 2011 dienen sie in der Slowakei dazu, die Minderheit der Roma von der Mehrheit der Slowaken fern zu halten. Die Rassentrennung hat beinahe irreversible Ausmaße erreicht.

„Die Roma haben die Segregation bereits akzeptiert, es gibt sie schon so lange. Sie glauben dass diese Trennung normal ist, sie akzeptieren auch Diskriminierung.
Wenn man jetzt mit Roma spricht sagen sie selber: Ich bin nur Roma. Sie haben Angst vor der Mehrheit, und keine Identität als Angehörige einer Volksgruppe“ sagt Jarmila Vaňová, Redakteurin des Roma Media Center in Košice.
Ebendort befindet ich auch das wohl größte Roma Ghetto der Welt, Lunik 9, am Rand der Stadt. Rauchschwaden ziehen über den mit Müll übersäten Hügelrücken neben Lunik 9. Die Müllabfuhr, können sich die meisten Roma nicht leisten. In Lunik 9 wird der Müll deshalb entweder in einer großen Tonne verbrannt, oder einfach aus dem Fenster geworfen. Hinter den letzten Blocks befindet sich eine Müllhalde die den Kindern als Spielplatz dient.

„Wenn ein Familienmitglied Arbeit hat, ist das kein Problem. Diese Familien können, auch ihre Häuser instand halten und ihre Rechnungen bezahlen.“ Jarmila gibt aber zu, dass das nur wenige sind. „Wir haben jetzt eine Generation von Roma die nie gearbeitet hat. Diese Leute haben keine Sozialkompetenz, sie wissen nicht wie es ist am Morgen aufzustehen, und arbeiten zu gehen, sie glauben dass es normal ist Sozialbeihilfe zu bekommen. Sie glauben dass der Staat dafür verantwortlich ist, dass sie überleben.“
Die Roma bekommen in der Slowakei schlicht keine Arbeit. Das war nicht immer so. Vor dem Umsturz im Osten waren die Roma in die slowakische Gesellschaft integriert.
„Damals musste jeder arbeiten, deshalb hatten die Leute ein Einkommen, sie hatten Geld und waren nicht so abhängig. Das Verhältnis mit der slowakischen Bevölkerung war wesentlich besser. In den Dörfern haben die Roma zusammen mit den Bauern auf den Feldern gearbeitet, sie hatten eigene Häuser. Die gesamte ländliche Infrastruktur die für die Rom heute noch existiert wurde im Kommunismus gebaut.“

Diesen Eindruck erweckt sie auch, unter einer dicken Erdschicht blicken in den Ghettos am Rande der slowakischen Kleinstädte teilweise Betonbrocken hervor. Wenn es regnet steht man in den Siedlungen in Schlamm und Müll. In vielen Siedlungen sind Kindergärten und Schulen direkt integriert, was die Seggregation verstärkt.Diese werden oft neben der Bundesstrasse errichtet und mit Mauern von der eigentlichen Siedlung abgetrennt. Das Elend der Eltern soll draussen bleiben und durch die neuen Gebäude für Vorbeifahrende kaschiert werden.

In Michalovce stehen nicht nur die umfassendsten Anti-Roma Mauern der Slowakei sondern auch ein potemkinsches Romadorf. Von der Durchzugsstrasse aus sieht man farbigen Verputz an den Wänden, hinter der Fassade zeigt sich eine Welt aus notdürftig zusammengeflickten Baracken und bitterer Armut.
Die dortige Schule steht auf einem unasphaltierten Platz, ihre Außenwand dient am Nachmittag dazu, das Fußballfeld zu begrenzen.
„Der EU ist es nicht möglich, einen neuen Ansatz zu wählen – es braucht ein systemisches Verständnis der Problematik. Die angestrebten Bildungsinitiativen werden nicht aus dem sozialen Zusammenhang verstanden. Wenn man etwas ändern will muss man langfristig denken. Die EU will alles innerhalb von zwei Jahren ändern. Die Roma müssen in diesen Veränderungsprozess eingeschlossen werden. Sie brauchen Arbeit, dann können Kinder in die Schule gehen, sie können ihre Häuser verbessern.“

Tatsächlich haben die meisten Roma unter dreißig jegliche Tagesstruktur verloren. In Lunik9 gehen sie langsam auf und ab, man erkennt kaum dass sie sich überhaupt bewegen. „Viele Millionen werden für Arbeitstraining ausgegeben, aber das bringt nichts – in den Vereinbarungen zwischen Regierung und Arbeitgebern ist zwar das Training, nicht aber die Anstellung eingeschlossen. Es gibt viele Roma die 20 Trainings hinter sich aber keine Aussicht auf Arbeit haben. Sie sind deprimiert und glauben nicht mehr daran dass sie für „echte“ Arbeit trainiert werden.
„Sie verstehen nicht, dass das keine Arbeit ist, sondern Training – das Mittel ist zum Zweck geworden. Wir züchten dadurch Sozialhilfeempfänger.“
Und während in der ostslowakischen Stadt Sečovce die Einfamilienhäuser bereits für den Frühling vorbereitet werden, arbeiten Duzende Roma auf der lokalen Müllhalde, um Brennholz oder irgendetwas anderes verwertbares zu finden. Mit dem Gefundenen gehen sie zurück in ihre Siedlung.
Dort treffe ich Renata und Zuzana. „Sechs Jahre arbeiten wir hier, dreimal die Woche. Wir verteilen Sozialhilfeschecks.“ Ihnen wird großer Respekt entgegengebracht. Ihr Bewegungstempo hat sich an das ihrer Klienten angepasst. Die Kinder sind zu diesem Zeitpunkt in der Schule. Die ist hier ebenfalls von einer Mauer umgeben, zum Schutz gegen die in der Siedlung vorherrschende Lebenswelt. Man könnte den Rousseauschen Naturzustand herbeizitieren, wenn man kleine Mädchen mit Welpen durch den Schmutz kullern sieht, man könnte das Ganze aber auch menschenunwürdig nennen.
Die mediale Thematisierung ist in der Slowakei ebenfalls schwierig. „Wir produzieren Inhalte, aber wir müssten bezahlen um diese Inhalte im TV zu zeigen. Es gibt nur ein Pogramm das in romanischer Sprache ist. Wir haben z.B. einen Film produziert, der die Roma zur Wahl gemäß ihrer Interessen auffordern sollte. Der durfte im staatlichen Fernsehen nicht gezeigt werden. Die Roma haben aufgrund der Armut ihre Stimmen für zwei Euro verkauft. Es geht uns darum, Bewusstsein zu schaffen, aber das wird uns von staatlicher Seite sehr schwer gemacht.“
Die Roma der Slowakei befinden sich seit 20 Jahren in einer sozialen Abwärtsspirale. Gleichzeitig wird auf ihrem Rücken politisches Kleingeld gemacht. Man trifft kaum Slowaken, die ein differenziertes Bild der Situation haben. Auch die Mehrheit hat vergessen, dass die Rassentrennung nicht natürlich ist. Die Roma wurden seit der „Samtenen Revolution“ zu Fremden im eigenen Land.

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